Die steile Fahrt zur höchstgelegenen PostAuto-Haltestelle

Tirano - Bormio - stilfserjoch - umbrail - sta. maria - Müstair

3800 Höhenmeter in drei Stunden, über 70 Haarnadelkurven und ein gewaltiges Bergpanorama... Das ist die spektakuläre Stelvio-Linie, die einem von Tirano über Bormio bis auf das 2`757 Meter hohe Stilfserjoch führt. Nach einem Aufenthalt tuckert das PostAuto zum höchsten aller Schweizer Alpenpässe, dem Umbrail. Von dort windet sich die Strasse mit unzähligen Kurven bis ins Münstertal hinunter. 

Das PostAuto aus dem Val Müstair wartet am Bahnhof von Tirano auf seine Rückfahrt
Das PostAuto aus dem Val Müstair wartet am Bahnhof von Tirano auf seine Rückfahrt

90.821, Tirano-Bormio-Stelvio-Sta.Maria-Müstair

Ausgangspunkt dieser äusserst spektakulären Strecke ist Tirano. Die italienische Ortschaft auf der anderen Seite des Bernina-Passes hat ihre Bekanntheit durch den Endpunkt der zum UNESCO - Weltkulturerbe zählenden Bernina-Strecke  (950 St.Moritz - Tirano) erhalten. Das PostAuto wartet bei der Haltestelle Tirano Stazione auf seine Fahrgäste, welche sich hinter dem Bahnhof befindet. Während den Sommermonaten verlässt täglich ein reservationspflichtiger Kurs den Hauptort des oberen Veltlins in Richtung Münstertal. 

Der SCANIA Bergbus verlässt Tirano
Der SCANIA Bergbus verlässt Tirano

Der gelbe Kollege aus dem Val Müstair hat bereits eine Fahrt über das Stilfserjoch hinter sich als das Fahrzeug nach 12.00 Uhr in Tirano eintrifft. So gibt es für den Fahrer sowie das Fahrzeug zuerst eine Pause bevor das PostAuto um ca. 13.30 Uhr zum Einstieg bereit ist. Früh sein lohnt sich, denn je weiter vorne man sitzt, desto spektakulärer wird die Fahrt. Wenn dann alle Gäste an Bord sind, kann die gut drei stündige Reise los gehen. In dieser Zeit kämpft sich das PostAuto vom 441 m.ü.M. liegenden Tirano auf das 2`757 m hohe Stilfserjoch hinauf. Aber anfangs ist von diesem gigantischen

Einblick in das verschüttete Tal, welches heute mit einem Tunnel umfahren wird
Einblick in das verschüttete Tal, welches heute mit einem Tunnel umfahren wird

Höhenunterschied noch nichts zu spüren. Das Schweizer Fahrzeug bahnt sich erst den Weg durch die engen Gassen, die vom dichten italienischen Verkehr geplagt sind. Als dann die Ortschaft Tirano hinter dem PostAuto liegt, geht es auf der gut ausgebauten Hauptstrasse in Richtung Bormio. Der Talboden ist vom Obstbau geprägt, unzählige Äpfel, Birnen und Zwetschgen Plantagen liegen neben der Strasse. Kurz darauf folgt dann der unspektakulärste Teil, 16 Kilometer Tunnelfahrt. Dieses Teilstück wurde nach einem gigantischen Bergsturz im Jahre 1987 komplett untertags verlegt. 

Blick auf die Sanatorien nahe Bormio
Blick auf die Sanatorien nahe Bormio

Insgesamt verloren bei dieser Katastrophe, welche das gesamte Dorf Morignone verschüttete, 53 Menschen das Leben und über 1500 wurden obdachlos. Wieder am Tageslicht fallen einem sofort die grossen und prunkvollen, jedoch ziemlich in die Jahre gekommenen Gebäude am linken Hügelzug auf. Dieses sind Zeitzeugen jener Epoche, als der italienische Staatspräsident Mussolini das Land regierte. Dieser erbaute nahe Bormio mehrere Sanatorien, die ursprünglich zur Genesung der Soldaten dienen sollten. Später spezialisierten sich die Zentren mit rund 1000 Betten auf die Behandlung von Rheumafällen.

 

Kurzer Halt im Busbahnhof von Bormio, der einer Einstellhalle gleicht
Kurzer Halt im Busbahnhof von Bormio, der einer Einstellhalle gleicht

Und werden auch heute noch als solche betrieben. Kurze Zeit später ist der Ferienort Bormio erreicht. Am rechten Berghang ist die legendäre Skirennpiste "Pista Stelvio" gut zu erkennen. Diese diente bereits 1985 und 2005 als Austragungsort der Alpinen Ski-WM. 2026 finden hier dann die Olympischen Skirennen statt. Dementsprechend spielt der Wintersport in Bormio eine grosse Rolle. Der schmucke Ortskern mit den vielen Hotels und Gasthäuser ziehen aber auch im Sommerhalbjahr viele Touristen an. Die ÖV Drehscheibe bildet dabei die Haltestelle Bormio Autostazione, die sich in einer Art 

Das PostAuto erreicht die Haltestelle Bormio, Therme
Das PostAuto erreicht die Haltestelle Bormio, Therme

Tiefgarage befindet. Von hier aus starten diverse Buslinien in die umliegenden Täler, wie z.B durchs Valdidentro nach Livigno (A072), welche allesamt von der italienischen Firma Pecego betrieben werden. Doch auch das PostAuto legt hier einen kurzen Halt ein. Jedoch kann nur zugestiegen werden, denn für den inneritalienischen Verkehr muss der regionale Ortsverkehr benützt werden. Nach einer kurzen Pause verlässt das PostAuto die Abfahrtshalle wieder und gelangt durch den Ortskern zur Therme. Die Thermalquellen, die in den Ortleralpen entspringen, versorgen insgesamt drei Zentren.

Der vom Stilfserjoch herkommende Kurs passiert kurz vor Bormio die 40 und somit letzte Haarnadelkurve
Der vom Stilfserjoch herkommende Kurs passiert kurz vor Bormio die 40 und somit letzte Haarnadelkurve

Die neue Therme Bormio befindet sich mitten im Dorf, während die älteren Anlagen "Bagni Vecchi" und "Bagni Nuovi" etwas ausserhalb des Ferienortes liegen. Langsam lässt das PostAuto die Zivilisation hinter sich und so verwandelt sich auch die bis anhin gut ausgebaute Fahrstrasse in eine enge und kurvenreiche Passroute. Auf der italienischen Seite sind alle Haarnadelkurven durchnummeriert, so zeigt die erste hölzerne Tafel die Zahl 40. Es folgen nun also noch ganze weitere 39 solche 180 Grad Kurven bis das Fahrzeug die höchste PostAuto-Haltestelle erreicht. 

Der kanpp 11 Meter lange Scania Bus wurde extra für die Stelvio-Linie beschafft
Der kanpp 11 Meter lange Scania Bus wurde extra für die Stelvio-Linie beschafft

Auf der Stelvio-Linie kommt dafür ein bestens für die engen Radien zugeschnittener SCANIA Interlink zum Einsatz. Das 10.8 Meter lange Fahrzeug wäre theoretisch für die nur bis zu maximal 10 Metern ausgelegte Strasse zu lang. Mit viel Erfahrung und grosser Routine ist es aber den Chauffeuren möglich, die Strecke trotzdem zu bewältigen. Die Strasse windet sich nun am rechten Berghang hoch, wobei sich ein letzter Blick hinunter nach Bormio ergibt. Dank etlichen Haarnadelkurven gewinnt das Fahrzeug sehr schnell an Höhe. Auf der stetig steigenden Strasse kämpft sich das PostAuto 

Der Gegenverkehr kann nur mit dem Horn gewarnt werden
Der Gegenverkehr kann nur mit dem Horn gewarnt werden

an den alten Bädern von Bormio vorbei. Nun wird die Szenerie am Strassenrand auf einen Schlag karger und felsiger. So schmiegt sich die Strasse nun an der steil abfallenden Felswand hinein in die Braulioschlucht. Für den Chauffeur beginnt hier einer der anspruchsvollsten Abschnitte der Stelvio Linie. Denn er muss sein Fahrzeug durch die von Hand in den Stein gehauenen und äusserst schmalen Tunnels zirkeln. Vor der Einfahrt wird zuerst einmal kräftig das Posthorn betätigt, so dass der allfällige Gegenverkehr (hoffentlich) vor dem anderen Portal wartet. 

Blick hinunter, zu sehen sind die vielen Haarnadelkurven
Blick hinunter, zu sehen sind die vielen Haarnadelkurven

Im gemächlichen Tempo führt die Fahrt dann durch die engen Tunnels. Zwischen Rückspiegeln und der Tunnelwand verbleiben nur wenige Zentimeter. Sogar ein Kreuzen mit einem Velofahrer ist auf diesem Abschnitt unmöglich. Total folgen fünf solche einspurige Bauwerke, wobei der Verkehr beim längsten Tunnel mittlerweile durch eine Ampel gesteuert wird. Im Anschluss an den äusserst spannenden Strassenabschnitt folgen mehrere Serpentinen. Mit 16 aufeinanderfolgenden Haarnadelkurven schlängelt sich die Strasse am Aussichtspunkt Spondalunga mit dem gleichnamigen Wasserfall vorbei auf das Höhenplateau vom Val Braulio.

Der SCANIA Interlink unterwegs zum Stilfserjoch
Der SCANIA Interlink unterwegs zum Stilfserjoch

Die im Frühsommer von Alpenrosen übersäte Berglandschaft bildet die Heimat von unzähligen Murmeltieren. Seit 1935 ist die Region und seine Bewohner durch den Nationalpark Stelvio geschützt. Der 1346 km² grosse Nationalpark zählt zu den grössten Naturschutzgebieten von Europa und erstreckt sich von der Provinz Bozen bis zur Lobmardei. Immer wieder meldet sich der ortskundige Chauffeur mit interessanten Geschichten, wie etwa jener der Braulio Herstellung. Seit bald 150 Jahren werden nähmlich am Stilfserjoch Alpenkräuter gesammelt, die anschliessend an der Alpenluft getrocknet werden. 

Einfahrt auf dem Stilfserjoch, dem zweithöchsten Alpenpass von Europa
Einfahrt auf dem Stilfserjoch, dem zweithöchsten Alpenpass von Europa

Nach der traditionellen Fermentierung mit Alkohol und Quellwasser lagert das Destillat zwei Jahre in Eichenfässer. Dieser Produktionsschritt ist ungewöhnlich für die Herstellung von Likör und macht den Braulio so einmalig. Doch zurück zur Reise. Durch die Frontscheibe kommen derweil bereits die ersten Hotels des Stilfserjochs zum Vorschein. Doch bis dorthin sind noch einige Höhenmeter und daraus resultierende Spitzkehren zu bewältigen. Vorbei am ziemlich verlotterten italienischen Zollgebäude nimmt der Linienbus die letzten zehn Kurven von der Abzweigung Umbrailpass hoch zum Stelvio in Angriff. 

Das Stilfserjoch - bildet mit 2`757 Metern die höchste PostAuto-Haltestelle
Das Stilfserjoch - bildet mit 2`757 Metern die höchste PostAuto-Haltestelle

Nach zweistunden Fahrzeit und über 2`300 überwundenen Höhenmeter trifft das PostAuto schliesslich auf dem Stilfserjoch ein. Der Fahrplan sieht hier oben einen rund 30 minütigen Aufenthalt vor. Genügend Zeit also, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Neben einer grandiosen Aussicht auf den Ortler, dem höchsten Berg Südtirols, befinden sich auf der Passhöhe mehreren Hotels, Cafés und Souvenirläden sowie ein der höchstgelegenen Kapellen der Alpen. Das 2`757 Meter hohe Stilfserjoch bildet auch den Einstieg in eines der letzten Skigebieten der Alpen, welches nur im Sommer geöffnet ist. 

Ein Volvo 8700  hat das Stilfserjoch bereits bezwungen und ist nun unterwegs zum Umbrail
Ein Volvo 8700 hat das Stilfserjoch bereits bezwungen und ist nun unterwegs zum Umbrail

Auf den Gletscherskipisten absolvieren entliche europäische Ski-Nationalmannschaften ihre Sommertrainings. Aber auch bei den Rennvelofahrern ist die zweit höchste Passstrasse von Europa sehr beliebt. Die kurvenreiche Strassenführung zieht jährlich tausende sportbegeisterte Radfahrer an. Nachdem alle Passagiere zurück an Bord sind, kann die Talfahrt los gehen. Während die Passstrasse gegen Osten hinunter nach Prad im Südtirol führt (SAD 274), verkehrt das Fahrzeug der Post den gleichen weg zurück bis zum italienischen Zoll. Diesmal zweigt der Linienbus jedoch rechts in Richtung Val Müstair ab. 

Einfahrt auf dem 2`503 Meter hohen Umbrailpass
Einfahrt auf dem 2`503 Meter hohen Umbrailpass

Beim Umbrailpass, der mit einer Höhe von 2`503 Metern übrigens den höchsten befahrbaren Pass der Schweiz bildet, passiert das PostAuto die Landesgrenze zur Eidgenossenschaft. Der Umbrail bilden den Ausgangspunkt von zahlreichen Wanderungen und Biketouren, wie etwa nach Livigno oder über den 3`032 Meter hohen Piz Umbrail an den Lai da Rims im Val Mora. Dementsprechend wird das PostAuto an schönen Wandertagen auch von etlichen Wanderern und Bikern als Zubringer benutzt, was den Einsatz eines speziell konzipierten Bike-Anhängers erfordert. 

Vor dem Schweizer Zoll verlassen zahlreiche Wanderer und Biker das Fahrzeug
Vor dem Schweizer Zoll verlassen zahlreiche Wanderer und Biker das Fahrzeug

Neben dem historischen Schweizer Zollgebäude, welches bis zum Eintritt in den Schengenraum noch täglich besetzt war, befindet sich auf der Passhöhe mehrere eiserne Soldaten. Diese sollen an die militärische Bedeutung des Übergangs während des ersten Weltkrieges erinnern. Damals verteidigten während vier Jahren bis zu 600 Schweizer Soldaten ganzjährig die Grenze zu Österreich und Italien. Rechts im Talboden kann man neben dem kleinen Muranzina See noch mehrere Steinruinen und Schützengräben jener Zeit erkennen. Ein trauriges, jedoch nicht minder prägnantes Detail ist, 

Das Offiziershaus ist eines von den wenigen Gebäuden am Umbrailpass
Das Offiziershaus ist eines von den wenigen Gebäuden am Umbrailpass

dass mehr Soldaten hier oben infolge Krankheit, Erfrieren oder Hunger gestorben sind als dem Krieg zu Opfer gefallen sind. Doch zurück in die Gegenwart. Die 1904 erstellte Passstrasse windet sich nun mit mehreren Haarnadelkurven zum ehemalige Offiziershaus hinunter. Weiter führt die Reise am Fluss Muranzina entlang weiter talauswärts. Die Linie 821 wird vom PostAuto-Halter Bus da Val Müstair betrieben. Im Sommer 2014 wurde die Linie vom Stilfserjoch via Bormio bis nach Tirano verlängert, was zu einem grossen Aufschwung der Fahrgastzahlen führte. 

 

Die ganz eigene Landschaft vom Umbrail
Die ganz eigene Landschaft vom Umbrail

So verkehrt am morgen ein Kurs vom Münstertal nach Tirano und am frühen Nachmittag wieder zurück. Auf den Fahrplanwechsel 2019 wurde das Angebot mit einem Frühkurs von Müstair zum Stelvio ausgebaut, der sich an die Wanderer richtet. Vorbei an der Alp Muraunza und der Blockhütte gelangt der Bergbus nach Plattatschas zum Hotel Alpenrose. Von hier hat man einen atemberaubenden Ausblick hinunter ins Val Müstair. Der Blick reicht vom Ofenpass über die Dörfer Lü, Tschierv, Fuldera, Valchava und St. Maria bis zum Grenzdorf Müstair, 

Einer der letzten Haarnadelnkurven der heutigen Reise
Einer der letzten Haarnadelnkurven der heutigen Reise

welche allesamt 2009 zur Gemeinde Val Müstair fusionierten. Doch bis zum Talboden gilt es noch einige Höhenmeter zu überwinden, und dies geht am besten mit Haarnadelkurven. 20 Stück sind es an der Zahl auf diesem letzten Abschnitt. Doch für den Chauffeur ist nochmals volle Konzentration gefordert, denn dieser letzte Strassenabschnitt ist noch einmal äusserst schmal und das Kreuzen mit dem Gegenverkehr nur an wenigen Stellen möglich. Dementsprechend kommt das legendäre Drei-Klang Horn rege zum Einsatz. Nach drei Stunden Fahrzeit und einer überwundenen Höhendifferenz

In Sta. Maria bleibt kaum Platz um anzuhalten
In Sta. Maria bleibt kaum Platz um anzuhalten

von mehr als 3`800 Metern ist das Münstertal erreicht. In mitten des Dorfkernes von Sta. Maria mündet die Strasse auf die Ofenpassroute. Bei der Haltestelle Sta. Maria Val Müstair, Posta besteht direkten Anschluss an die Linie 90.811 - Sta. Maria-Ofenpass-Zernez. Nachdem hier viele Gäste den gelben Linienbus verlassen haben und umgestiegen sind, fährt das Stilfserjoch-PostAuto noch eine Ortschaft weiter bis nach Müstair. Zuvor muss sich das Fahrzeug zusammen mit dem gesamten Transitverkehr durch den engen Dorfkern zum Center da sandà Val Müstair kämpfen. 

Geschafft, Müstair ist erreicht und Chauffeur und Fahrzeug haben den Feierabend nun verdient
Geschafft, Müstair ist erreicht und Chauffeur und Fahrzeug haben den Feierabend nun verdient

Das kleinsten Spital der Schweiz stellt die medizinische Versorgung des Tals sicher. Wenig später ist bereits das Klosterdorf Müstair in Sicht. Auch hier zwingt dich der Linienbus durch den engen, jedoch äusserst schmucken Dorfkern bis zum Kloster Son Jon. Seit 1983 zählt das mittelalterliche Benediktinerinnenkloster mit seinen fast 2000 Jährigen karolingischen Fresken zum UNESCO Weltkulturerbe. Hier, in der östlichsten Ortschaft der Schweiz rund ein Kilometer vor der italienischen Grenze endet schliesslich diese einmalige und kurvenreiche Reise.

 

 

Anschlusslinien:

 

90.811: Sta. Maria - Ofenpass - Zernez
90.811: Sta. Maria- Mals/Malles

 


Last Update: 14.11.2023
Zuletzt gereist: 08.08.2024